Achtung: Bitte beachte das Update vom 2023-06-12
Der Warnstreik der Eisenbahngewerkschaft EVG mag in letzter Sekunde abgewendet wurden sein, aber für die Bahn könnte es dennoch ein juristisches Nachspiel geben. Wie der Euro Verbrauchendenschutzverband EuroConsum am 16. Mai 2023 bekannt gab, bereite man eine Klage gegen das Deutsche Staatsunternehmen wegen der Verletzung von Unionsrecht vor. EuroConsum wirft dem Unternehmen vor, es habe durch mehrere Konzernäußerungen über Rechte von Bahnreisenden bei Ausfällen falsch aufgeklärt und so gegen das Unionsrecht verstoßen.
Der Konzernsprecher der Deutschen Bahn hatte im Vorfeld der geplanten Warnstreiks mehrfach öffentliche Aussagen über die Rechte von Bahnreisenden und die Gültigkeit von Tickets gemacht. „Wir halten mehrere der Aussagen des Konzernsprechers für inhaltlich falsch und das gesamte Verhalten daher für unvereinbar mit dem Unionsrecht“, sagte Iwona Szczeblewski, Vorständin von EuroConsum in Brüssel. „Es wurde nach unserer Ansicht der Eindruck erweckt, dass Verbindungen, die wegen des Streikes ausgefallen wären nicht hätten nachgeholt werden können.“
Dabei geht es um ein Presseerklärung, welches der Konzernsprecher der Deutschen Bahn Achim Stauß gegeben hatte. Dort sagte er unter Anderem:
„Da gibt es überhaupt nicht »gültig« zu machen. Die Tickets behalten bei einem Ausfall ihre Gültigkeit“, ärgert sich Szczeblewski. Das Unionsrecht sehe in Artikel 16 Buchstabe c der EU-BahnreisendenrechteV vielmehr vor, dass bei Ausfällen die Fahrt nachgeholt werden kann und die Tickets ihre Gültigkeit automatisch behalten, ohne dass hierdurch Mehrkosten entstehen dürften, unterstrich Szczeblewski. Hierfür sehe die Verordnung eine Frist von einem Jahr vor, innerhalb dessen die Reise nachgeholt werden könne. Einschränkungen dürfe es nicht geben.
Die Äußerungen des Konzerns waren nach Ansicht des Verbandes aber eindeutig sogar dahingehend zu verstehen, dass den Menschen empfohlen wurde, die bereits gekauften Tickets – soweit sie in den Zeitraum des Streikes fielen – zu stornieren und die Verbindung später erneut zu buchen. Wird dabei die Tarifstufe Flexticket verwendet, gelangt man in ein teureres Tarifmodell. Wer also frühzeitig gebucht hat und sich sehr günstige Preise sichern konnte, zahlt nun unnötig mehr.
Die Rechte von Bahnreisenden sind unionsweit einheitlich in der EU-Verordnung über die Rechte von Bahnreisenden (Verordnung (EG) Nr. 1371/2007) geregelt.
„Uns liegen eine erhebliche Zahl an Beschwerden über angeblich fehlerhafte Auskünfte zu Fahrgastrechten vor, die unterschiedliche Bahngesellschaften in der EU betreffen. Oft seien diese Falschinformationen aber leider nicht zu beweisen gewesen“, bedauert Szczeblewski die Situation in Brüssel (Belgien).
Netzwerk prüft auch besonders krassen Vorwurf
„Wir sind überzeugt, dass das Verhalten als Irreführung unzulässig ist. Derzeit prüfen wir aber auch, ob der Vorgang möglicherweise sogar auch den Tatbestand des „Bait-and-Switch“ erfüllt“, erklärt Natália Oráviková vom Juristischen Dienst des Verbandes in Kassel (Deutschland).
Hierzu stellt Oráviková klar: „Wenn sich herausstellt, dass der Vorwurf zutrifft, wäre das ein besonders krasser Verstoß gegen das Unionsrecht.“
Anders als in viele anderen EU-Staaten ist Bait-and-Switch in Deutschland bisher nicht gesondert mit Strafe bedroht. Ob das Verhalten der Deutschen Bahn nach einem anderen Tatbestand, zum Beispiel als gewerbsmäßiger Betrug, nach deutschem Recht bestraft werden kann, lasse sich aktuell noch nicht abschließend beurteilen, mahnte Oráviková.
Konsultationsverfahren eröffnet
EuroConsum hat nun ein sog. „Konsultationsverfahren“ gegenüber der Deutschen Bahn eingeleitet. Die Bahn hat nun zwei Wochen Zeit, einen Rechtsstreit abzuwenden und eine außergerichtliche Einigung zu finden.
Ein entsprechendes Verfahren, das in Deutschland als „Abmahnung“ bezeichnet wird, ist in den Meisten EU-Staaten nicht vorgesehen, in Deutschland aber faktisch zwingend. Die Grundlage für diesen deutschen Sonderweg wurde auf Drängen der Bundesrepublik in die EU-Verbandsklagenrichtlinie übernommen, wird in den meisten Mitgliedsstaaten aber nicht praktiziert.
Man verstehen, dass die sog. »Abmahnung« nach Deutschem Recht als Instrument des Unternehmensschutzes betrachtet werde. „In Deutschland ist der Unternehmensschutz ebenso wichtig, wie der Schutz der Verbrauchenden“, stellt Szczeblewski fest und ergänzt „rechtsverletzenden Unternehmen sollen in Deutschland die Kosten und der Reputationsschaden eines Gerichtsverfahrens möglichst erspart bleiben“. Dies sei mit dem Unionsrecht vereinbar. „Wenn Deutschland das so möchte, respektieren wir diese Entscheidung“.
Allerdings hat die EU-Verbandsklagenrichtlinie der EU die Missbrauchsmöglichkeiten die frühere deutsche Praxis stark eingeschränkt. Die Richtlinie, die seit Dezember 2022 gilt, stellt klar, dass in keinem Fall länger als zwei Wochen verhandelt werden muss, ehe eine Klage eingereicht werden kann. „Deutschland ist ein Land in dem der sog. „Tanz mit dem Regulierer“ weit verbreitet zu sein scheint“.
Schadensersatz nach EU-Recht
„Wir vertreten derzeit die Ansicht, dass die Aussagen geeignet sind, individuelle Schadensersatzansprüche nach Unionsrecht auszulösen“, erklärt Natália Oráviková aus dem Legal Team des Verbandes. „Die Ansprüche wurden durch Richtlinie (EU) 2019/2161 eingeführt, der die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (2005/29/EG) ergänzt“. Nach Art. 11a der Richtlinie 2005/29/EG haben Verbrauchende, die durch unlautere Geschäftspraktiken geschädigt wurden, Schadensersatz zubilligt. Die Bundesrepublik hat die Vorgabe in § 9 des deutschen UWG umgesetzt. Wer im Lichte der Aussagen des Konzerns sein Ticket für die Streikzeit storniert und dann ein neues und teureres Ticket für einen Termin nach dem Streik gebucht hat, sollte sich mit der Preisdifferenz unbedingt an die Bahn wenden. Außerdem sieht das Unionsrecht vor, dass man an die neuer Buchung nicht gebunden ist, sondern sich von einem Vertrag lösen kann, der in Folge einer Verletzung des Gemeinschaftsrechts geschlossen wurde.
Oráviková fügt hinzu, man habe die Deutsche Bahn in der Konsultation auch kontaktiert und angeregt, die alle Kunden auch ohne individuelle Geltendmachung automatisch zu Entschädigung. Hierzu stehe eine Antwort aber noch aus. „Wir können bis auf Weiteres nur allen raten, nicht auf eine allgemeine Regelung zu setzen, sondern die Ansprüche vorsorglich selbst per E-Mail geltend zu machen“, rät die slowakische Leiterin des juristischen Dienstes des Netzwerkes, die aus Kassel zugeschaltet war.
Der Verband hat hierfür einen Mustertext bereitgestellt, der kostenlos verwendet werden kann.
Anfangsverdacht zum Missbrauch des „Force Majeure“-Einwandes
Immer wieder wendeten Verkehrsgesellschaften gegen Ansprüche von Reisenden zu Unrecht ein, dass ein Fall von „Höherer Gewalt“ (französisch „Force Majeure“) vor liege. „Zur »Force Majeure« liegen uns mehrere Beschwerden vor. Wir beobachten das Marktgeschehen hier aufmerksam.“ erklärt Szczeblewski auf Nachfrage.
Sollte sich sich der Eindruck erhärten, dass es eine betriebliche Praxis gibt, nach der begründete Ansprüche von Reisenden rechtswidrig unter dem Vorwand der Höheren Gewalt abgelehnt werden, werde man auch dagegen gerichtlich vorgehen. Dies betreffe aber, betont Szczeblewski, nicht nur die Deutsche Bahn sondern viele Verkehrsunternehmen in der EU.
Mit Blick auf eine aktuelle Diskussion auf EU-Eben gibt Szczeblewski auf Nachfrage zu bedenken: „Wenn im Winter die Weichen einfrieren und die Schienen im Sommer heiß werden, ist das nicht »höhere Gewalt« sondern eine mangelhafte Betriebsorganisation.“ Frühling, Sommer, Herbst und Winter seien nicht die vier apokalyptischen Reiter, sondern ganz normale Jahreszeiten in Europa.
Über EuroConsum
EuroConsum ist ein Europäisches Verbrauchendenschutznetzwerk. In Deutschland ist EuroConsum e.V. ein anerkannt gemeinnütziger Verbraucherschutzverband und Qualifizierte Einrichtung nach der EU-Verbandsklagenrichtlinie. EuroConsum vertritt die Interessen von Verbrauchenden innerhalb des Binnenmarktes mit Mitgliedern mit Schwerpunkt in den Niederlanden, Belgien, Polen, Österreich und Deutschland.
Update vom 2023-06-12
Update vom 2023-06-12: Die Deutsche Bahn AG hat sich vertraglich unterworfen und zum Unterlassen verpflichtet. Damit sind die Kollektivansprüche geregelt.
Weitere Links
- Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr
- Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt […]
- § 9 UWG
Hilfen für Verbrauchende
Musterschreiben
an: kundendialog@bahn.de
Betreff: Erstattungsforderung
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich hatte ein Bahnticket für die Zeit zwischen dem 14.5.2023, 22:00 Uhr, und dem Dienstag, 16.5.2023, 24:00 Uhr gebucht.
In den Medien habe ich die Erklärung des Konzernsprechers Achim Stauß gehört. Danach hatte ich den Eindruck, dass ein Ticket, welches ich für die Zeit, in der ein 50-stündiger Streik der EVG vom (14. bis 16. Mai 2023) angekündigt war, zu einem Preis von ____ € erworben hatte, nach dem Ende des Streiks nicht mehr gültig sei. In der Erklärung hieß es, ich solle die Fahr stornieren.
In der Erklärung hieß es unter Anderem:
"deswegen können wir die Fahrkarten die jetzt für die Streiktage gebucht wurden nicht für die Tage danach gültig machen sie gelten ab sofort Fahrgäste die eigentlich am Montag oder Dienstag fahren wollten können dies ab jetzt schon tun auch am Samstag auch am Sonntag aber nicht an den Tagen nach dem Streik"
Hierauf habe ich mein Ticket dann storniert.
Die eigentlich geplante Fahrt habe ich später neu gebucht und zwar zu einem höheren Preis von _____ €.
Allerdings habe ich nun erfahren, dass ich nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 1371/200 mein günstigeres, ursprüngliches Ticket einfach hätte innerhalb eines Jahres für dieselbe Strecke nutzen können.
Ihnen wird hiermit Gelegenheit gegeben, die Preisdifferenz innerhalb von 14 Tagen auf folgendes Konto zu erstatten:
IBAN XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX XX
Fotos des alten Tickets und des neuen Tickes sind als Anlage beigefügt.
Mit freundlichen Grüßen,
Vorname Nachname
Beweismittel
Wenn Sie Individualansprüche Geltend machen wollen, können Sie sich auf dieser Seite Beweismaterial herunterladen.
Link zur Erklärung auf Youtube.
Transkript der Äußerungen
0:00 Guten Tag meine Damen und Herren ich 0:02 danke ihnen fürs Kommen 0:04 die Deutsche Bahn und die EVG haben 0:07 gestern bis in den späten Abend intensiv 0:10 das Thema Mindestlöhne erörtert. Fazit: 0:14 die DB erfüllt die Forderungen der EVG 0:17 zum Mindestlohn eins zu eins es ist jetzt 0:20 an der EVG zu ihrem Wort zu stehen und 0:22 diesen 50 stündigen Warnstreik abzusagen 0:28 die EVG hat gestern einen Bahnsteig 0:30 angekündigt der am Sonntagabend um 0:32 22 Uhr beginnen soll und den ganzen Montag 0:35 und den kompletten Dienstag umfassen wird 0:40 wie schon bei den vorangegangenen 0:42 Bahnstreiks sind wiederum Mitarbeiter 0:44 aller Bereiche der DB aufgerufen am 0:46 Streik teilzunehmen wir werden als Bahn 0:49 daher leider wiederum keinen 0:50 Ersatzfahrplan unseren Fahrgästen 0:52 anbieten zu [sic!] können 0:56 die Vorwürfe des Chefs der 0:57 Lokführergewerkschaft in diesem 0:59 Zusammenhang sind absurd 1:01 natürlich hat die EVG wenn sie 1:03 Stellwerke bestreicht eine viel größere 1:05 Hebelwirkung das zeigt dass der Chef der 1:09 Lokführergewerkschaft nicht versteht das 1:12 ist hier ein Zusammenhang gibt zwischen 1:15 Betrieb und den Transportunternehmen die 1:19 EVG hat einfach ein viel größeren Hebel 1:21 streikt werden 1:26 der Streik trifft unsere Fahrgäste 1:28 ausgerechnet in der Woche rund um 1:30 Himmelfahrt das ist eine der 1:32 reisestärksten Zeiten des Jahres und 1:34 diesen Zeitpunkt hat die EVG ganz 1:36 bewusst gewählt 1:39 wir können unseren Fahrgästen nicht 1:41 ruhigen Gewissens ermöglichen nach dem 1:44 Streikzüge zu benutzen wenn sie 1:46 eigentlich am Montag oder Dienstag 1:47 fahren können fahren wollten weil die 1:50 Züge ab Mittwoch schon sehr sehr stark 1:52 gebucht sind über das ganze Himmelfahrt 1:54 Wochenende Millionen Menschen freuen 1:56 sich ja darauf über Himmelfahrt mit der 1:58 Bahn zu fahren wir haben allein im 2:01 Fernverkehr schon eine halbe Million 2:03 Vorbuchungen für die Tage um Himmelfahrt 2:05 deswegen können wir die Fahrkarten die 2:08 jetzt für die Streiktage gebucht wurden 2:10 nicht für die Tage danach gültig machen 2:12 sie gelten ab sofort Fahrgäste die 2:14 eigentlich am Montag oder Dienstag 2:15 fahren wollten können dies ab jetzt 2:17 schon tun auch am Samstag auch am 2:20 Sonntag aber nicht an den Tagen nach dem 2:22 Streik 2:29 die Lokführer Gewerkschaft hat auch 2:30 davon gesprochen dass wir ein 2:32 Ersatzfahrplan aufstellen können das ist 2:34 aber nicht möglich der hier Hebelwirkung 2:35 eines solchen Streiks ich viel größer 2:37 bin Stellwerke bestreicht werden wir 2:39 können auch nicht ruhigen Gewissens 2:40 zusehen dass Züge und damit viele 2:43 Fahrgäste dranten weil irgendwo ein 2:45 Stellwerk bestreikt wird deswegen ist es 2:47 die richtige Entscheidung die auch schon 2:49 bei den früheren Streiks den Fernverkehr 2:51 der Bahn komplett einzustellen ab 2:54 Sonntag 22 Uhr und am kompletten Montag 2:56 und am Dienstag im Nahverkehr von DB 3:00 Regio werden größtenteils keine Züge 3:03 fahren 3:04 wir bitten unsere Reisende wenn möglich 3:06 Ihre für Montag oder Dienstag geplante 3:09 Fahrt vorzuziehen die Tickets sind 3:11 natürlich gültig schon ab jetzt bis 3:14 einschließlich Sonntag 3:16 und wer nicht umbuchen kann kann seine 3:18 Fahrt natürlich kostenlos stornieren 3:25 der EVG Streik ist unnütz wir 3:28 appellieren noch mal an die Gewerkschaft 3:29 ihn abzusagen sie hat sich ja ganz 3:32 bewusst für dieses Wochenende rund um 3:34 Himmelfahrt entschieden damit es unser 3:36 Fahrgäste am meisten schmerzt aber 3:39 dieser Streik ist unnötig und wir bitten 3:41 darum ihn abzusagen vielen Dank