07.02.2021
Zusammenfassung
Unser Anspruch an Verbrauchendenschutz ist es, alle Perspektiven einzubeziehenTypAnalyse
Konsum ist nicht männlich, nicht weiß, nicht hetero
Der “situationsadäquat aufmerksame, durchschnittlich informierte und verständige Durchschnittsverbraucher”, eine juristische Figur. mit der Gerichte zu Entscheidungen über die Unzulässigkeit von geschäftlichen Handlungen gelangen, ist tatsächlich zumeist eine situationsadäquat aufmerksame, durchschnittlich gebildete und verständige Verbraucherin. Es mag sein, dass die vermeintlich “großen” Dinge im Leben (Hauskauf, Autokauf, Rentenabsicherung) eher von Männern als von Frauen entschieden werden, aber zahlenmäßig werden bei weitem die meisten Konsumentscheidungen von Frauen getroffen.
- Frauen erledigen den Wocheneinkauf.
- Frauen kümmern sich um die Ausstattung des Nachwuchses.
- Frau entscheiden maßgeblich, wenn es um die Gesundheit geht.
Konsum könnte man sagen ist also gerade nicht männlich, sondern nicht-männlich.
Wenn aber ein mit drei männlichen Mitglieder besetzter Spruchkörper eines Oberlandesgerichts (drei von drei, wohlgemerkt) über Irreführung bei Damenbilden entscheidet, läuft etwas falsch. Die drei Herren hielten sich in einer berühmt gewordenen Entscheidung für in der Lage, die Frage anhand ihres eigenen Erfahrungshorizontes zu entscheiden. Schließlich würden sie gelegentlich auch schon mal von ihren Frauen gebeten, Damenbinden einzukaufen.
Solange über Produkte zur chemischen Haarglättung oder zur Teint-Aufhellung weiße Menschen ohne Krause entscheiden, solange ausschließlich Menschen ohne Sehbehinderung über die Schriftgröße von Pflichtangaben entscheiden, solange ausschließlich Männer über die Themen entscheiden, die Verbrauchende jeden Geschlechts betreffen, wird die Geschichte der Menstruation eine Geschichte voller Missverständnisse bleiben.
Für alle Menschen, deren Belange wir repräsentieren
Die Perspektiven von zu vielen Menschen bleibt in der Verbrauchendenschutzarbeit unberücksichtigt. Das gilt sogar für Personen, die nicht besonders deutlich marginalisiert werden. Bei der Beurteilung etwa, ob ein Preisschild “gut lesbar” ist, bleibt die durchschnittliche Sehfähigkeit von alterserfahrenen Menschen außer Acht. Unlängst entschied ein Obergericht, es sei Kunden durchaus zuzumuten, die zum Lesen einer Preisauszeichnung zur Not auch hinzuknien oder eine hockende Position einzunehmen. Beides sind Körperhaltungen, die im fortgeschrittenen Alter typischerweise nicht mehr schmerz- und gefahrlos eingenommen werden können. Von Rolli-Nutzenden ganz zu schweigen. Diese Betrachtung schadet uns allen. Der Weg in einen nachhaltigen Verbrauchendenschutz muss intersektional arbeiten und so viele Perspektiven einnehmen, wie möglich.
Leider konnte sich eine Initiative des BMJV nicht durchsetzen, die vorgeschlagen hatte, Gesetzestexte nur noch in geschlechtersensibler Sprache zu verfassen. Dies bedauern wir und haben uns vorgenommen, zu diesem Thema einen eigenen Beitrag zu leisten.
Unser Beitrag für Sichtbarkeit
Wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass eine Verbrauchendenschutzarbeit, die die Perspektiven von marginalisierten Gruppen vernachlässigt, ihrem Repräsentanz-Anspruch nicht gerecht wird und nicht nachhaltig sein kann. Dabei ist es keine Option, zu versuchen, Unterschiedlichkeiten bewußt zu übersehen, weil dies Lebensrealitäten und Diskriminierungserfahrungen negieren würde. Vielmehr braucht Verbraucherschutz Sichtbarkeit und Repräsentanz. Deshalb haben wir uns folgende Selbstverpflichtung auferlegt:
- Wir streben an, die Sicht von marginalisierten Gruppen auf allen Arbeitsstufen angemessen zu repräsentieren. Hierzu gehören neben Frauen Menschen mit Assistenz- und Hilfsmittelbedarf, migrantisierte Menschen, queere Menschen, Transmenschen, Menschen, die sich keiner der Geschlechtsvarianten männlich und weiblich zuordnen, BPOCs und angehörige von ethnischen und religiösen Minderheiten.
- Wir verwenden in unseren Texten und Beiträgen und in öffentlichen Stellungnahmen gender-sensitive Sprache. Unsere Mitarbeitenden können aus mehreren möglichen gendern-sensitiven Ausdruckweisen wählen. Das generische Maskulinum vermeiden wir.
- Wir achten bei Verhandlungen auf eine diverse Besetzung unseres Verhandlungsteams.
- Wir führen Verhandlungen nur, wenn auf allen Seiten eine Verhandlungsführung beteiligt ist, die nicht ausschließlich aus männlich gelesenen Personen besteht.
- Wir nehmen nur an High-Level-Gesprächen und -Verhandlungen teil, wenn alle Delegationen mindestens zur Hälfte mit weiblich gelesenen Personen oder Transpersonen, besetzt sind.
- Soweit wir auf die Besetzung von Spruchkörpern Einfluss haben (etwa bei Schiedsverfahren), werden wir für eine angemessene Repräsentation von marginalisierten Personen sorgen.
- Soweit wir durch Benennung, Beleihung oder Berufung an Gremienarbeit beteiligt sind, werden wir für eine angemessen Übergangszeit darauf dringen, dass auch dort eine diverse und mindestens hälftig nicht-cis-männlich besetzte Struktur erzielt wird. Gelingt dies dauerhaft nicht, werden wir unsere aktive Teilnahme an dieser Gremienarbeit einstellen.
- Wir nehmen unsere Partner, einschließlich beauftragter Rechtsanwaltskanzleien in die Pflicht, sich auch im Rahmen von Gerichtsverfahren um eine gender-sensitive Sprache zu bemühen.
- Rechtspolitisch setzen wir uns für eine zeitgemäße Weiterentwicklung der Verbraucherleitbilds hin zu einer Vebrauchendendefinition ein, die explizit die besonderen Perspektiven von Frauen, Senioren, Menschen mit Assistenzbedarf und von Angehörigen marginalisierter Gruppen gebührend berücksichtigt.