Manipulation der HWS / Bild: Pixabay Lizenz

Das Heilpraktikerwesen kennt den „großen“ und einige „kleine“ Heilpraktiker – damit ist gemeint, dass es neben dem „allgemeinen“ Heilpraktiker auch Zulassungen gibt, die sich auf eine bestimmte Therapieform beschränken: die sektoralen oder „kleinen“ Heilpraktiker. Bislang gab es solche „sektoralen“ Zulassungen nur für die Bereiche Psychotherapie und Physiotherapie.

Diese sektoralen Zulassungen waren als „Notlösung“ gedacht, um bestimmten Berufsgruppen eine qualifizierte Berufsausübung mit direktem PatientInnenzugang zu ermöglichen. Entstanden ist das Konstrukt daraus, dass studierten PsychologInnen und PsychotherapeutInnen – also fachlich qualifizierten Menschen – ohne ärztliche Qualifikation seinerzeit dieser direkte Zugang zu PatientInnen verschlossen war. Ähnlich argumentierten dann auch die ausgebildeten PhysiotherapeutInnen und bekamen dann auch ihre „sektorale Zulassung“.

Ursprünglich ging es also durchaus darum, qualifizierten Berufsgruppen den Zugang zum Markt der Leistungserbringer zu verschaffen. Dies aber im Grunde systemfremd durch die Schaffung von „Ablegern“ des seit jeher in der Kritik stehenden Heilpraktikerwesens zu realisieren, war zumindest unglücklich. Eine sinnvolle Ausgestaltung könnten solche Anliegen in einem umfassenden „Gesundheitsberufegesetz“ finden, über das tatsächlich bereits Jahrzehnte diskutiert wird, jedoch bisher ohne greifbares Ergebnis.

Welche Blüten diese Konstruktion treibt, wurde deutlich, als den nichtärztlichen PsychologInnen und PsychotherapeutInnen über das Psychotherapeutengesetz von 1999 eine „solide“ Möglichkeit zur Berufsausübung geschaffen und damit ihrem Kernanliegen entsprochen wurde. Das aber bedeutete keineswegs die Abschaffung des doch eigentlich damit obsolet gewordenen „Heilpraktikers Psychotherapie“. Was heute zur Folge hat, dass diese Lücke von Menschen gefüllt wird, die eben keine reale berufliche Qualifikation für die Behandlung psychischer Erkrankungen haben, also auch auf diesem Gebiet die Laienheilkunde etabliert wird. Eine nicht nur aus unserer Sicht hochproblematische Situation als Folge von Unbedachtheiten und Unzulänglichkeiten beim gesetzgeberischen Umgang mit dem Komplex Heilpraktikerwesen.

Hierzu verweisen wir auf den Podcast „Grams‘ Sprechstunde“ mit der Folge „Therapie ohne Ausbildung“ unter https://detektor.fm/wissen/grams-sprechstunde-heilpraktiker-und-psychotherapie .

Begehrlichkeiten

Der lange vermiedene Schritt zu „sektoralen“ Heilpraktikern weckte – wenig verwunderlich – Begehrlichkeiten. So von Seiten der Osteopathie, die als Pseudomethode angesehen wird und nicht zum Kanon der Evidenzbasierten Medizin gehört, jedoch von einigen Krankenkassen bei ärztlicher Anwendung freiwillig erstattet wird. Osteopathie ist gerichtlich (OLG Düsseldorf) zwar als „Heilkunde“ anerkannt, was jedoch nur bedeutet, dass sie nur von Ärzten und Heilpraktikern ausgeübt werden darf.

Den Osteopathen schwebte jedoch mehr vor. Sie scheiterten jedoch letztinstanzlich beim Bundesverwaltungsgericht mit ihrem Begehren, sich als sektorale „Heilpraktiker Osteopathie“ zu etablieren – gedacht wohl als eine Art Zwischenschritt zum erklärten Ziel, für Osteopathen ein eigenes Berufsgesetz (analog zum Psychotherapeutengesetz) und auch eine anerkannte Facharztausbildung irgendwann zu etablieren. Im Wesentlichen beruhte die Ablehnung des „HP Osteopathie“ auf der Begründung, es gebe gar keinen einheitlichen und fassbaren „Kanon“ an Methoden und Grundlagen, unter denen „Osteopathie“ überhaupt begrifflich hinreichend bestimmt sei. Was zutrifft.

Mehr dazu:
https://www.quarks.de/gesundheit/medizin/wie-hilfreich-ist-osteopathie/

Alles in allem eine wenig befriedigende Situation – für alle Seiten. Es kommt aber noch schlimmer.

Im Juni 2023 erging seitens des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in einem Revisionsverfahren nach Rückverweisung vom Bundesverwaltungsgericht folgender Urteilsspruch:

Die Heilpraktikererlaubnis kann beschränkt auf das Tätigkeitsgebiet des Chiropraktors mit akademischer Ausbildung erteilt werden. (https://openjur.de/u/2472113.html )

Die Chiropraktik als Gegenstand einer sektoralen Heilpraktikerzulassung?

Die Chiropraktik ist ungeachtet ihrer weltweiten Verbreitung der Pseudomedizin zuzurechnen. Ihre Grundlagen sind esoterisch-unwissenschaftlicher Natur, ihre Grundannahmen („Beseitigung von Subluxationen“) haltlos. Vor allem aber kann man sie mit Fug und Recht als die vielleicht gefährlichste pseudomedizinische Methode ansehen, denn einen nie konkretisierten medizinischen Nutzen steht ein sehr konkretes hohes Risiko gegenüber: mehrere hundert Todesfälle als Behandlungsfolge sind dokumentiert. Die Einstufung als pseudomedizinische Methode spielte aber beim Gericht ebenso wenig eine entscheidende Rolle wie das mit der Chiropraktik verbundene Gefahrenpotenzial. Wie kann das sein?

Das erstinstanzliche, für die Chiropraktik negative Urteil lehnte sich eng an die Begründung an, mit der der Osteopathie der „sektorale Heilpraktiker“ versagt wurde: eine Uneinheitlichkeit des Kanons von Methoden und Indikationen und ihre mangelnde Abgrenzbarkeit zu anderen Heilberufen. Dies ließ der Verwaltungsgerichtshof nicht gelten, er hielt das Berufsbild eines „Chiropraktors“ für hinreichend definiert und abgegrenzt. Hierbei beruft er sich auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 2021 (3 C 17.19), das Kriterien für den Begriff der „Abgrenzbarkeit“ aufstellt – und damit das eigene ablehnende Urteil zu Lasten der Osteopathie letztlich selbst konterkariert. Was die Türen für einen erneuten Anlauf der Osteopathen weit öffnet.

Die Rechtslage im Bereich der Heilkundeausübung ist also inzwischen derart verfahren, dass allein aus der Zuordnung von Methoden zum Begriff „Heilkunde“ – ungeachtet ihrer Validität, ihres Nutzens oder ihrer Risiken – rechtlich abgeleitet wird, dass faktisch staatliche Garantien für die tatsächliche Ausübung solcher Methoden im nichtärztlichen Bereich gegeben werden müssen. Das wäre die Quintessenz aus diesem Fall – was zeigt, wie reformbedürftig die Gesetzgebung zur „Ausübung der Heilkunde“, speziell im Heilpraktikersektor, ist. Den Intentionen von Patientenschutz und Stärkung von Gesundheitskompetenz läuft dies ohne Zweifel zuwider.

Wir sehen daher eine Befassung des Gesetzgebers mit diesem Komplex und eine Lösung über ein konstruktives „Gesundheitsberufegesetz“ als dringend erforderlich an, wobei gleichzeitig sichergestellt werden muss, dass auf dem Wege der Zulassung von Gesundheitsberufen keine Pseudomedizin „geadelt“ wird. Genau dies geschieht im vorliegenden Fall.


 

Nachsatz: Es stellt sich die Frage, was das Gericht mit „mit akademischer Ausbildung“ meint. Dies bedeutet die Absolvierung eines akkreditierten Studienganges an einer akkreditierten Hochschule im jeweiligen Fach. Solche Studiengänge existieren in der Tat, bei privaten Hochschulen, die als solche auch akkreditiert sind und deshalb auch qualifizierte Studiengänge und -abschlüsse anbieten können.
Dass dies möglich ist, ist eine hochschulpolitische Entscheidung der Politik. Wenn jedoch Gegenstand von akkreditierten Studiengängen wissenschaftlich unbelegte Heilverfahren im Spektrum zwischen zweifelhaft und gefährlich sind, sehen wir hierdurch Belange des Patientenschutzes elementar berührt.