Was hinter der wohl gefährlichsten, erlaubten Geschäftspraktik steckt, wie sie funktioniert – und was die EU dagegen tut.

Unternehmen mögen Regulierung nicht – dieser Satz scheint intuitiv richtig. Aber was, wenn das nur die halbe Wahrheit ist. In diesem Beitrag erklären wir, welche Spannungsfelder in der Regulierung entstehen, nach welchen Grundlegen Maximen Regulierung funktioniert, welches die entscheidenden Faktoren sind, nach denen Unternehmen ihr Verhalten ausrichten. Abschließend stellen wir dar, warum der Umgang der EU trotzdem funktioniert und zu sehr guten Ergebnissen führt, … wenn man ihn lässt.

“Dancing with the regulator”.

Der “Tanz mit dem Regulierer” (engl. “Dancing with the regulator”) beschreibt eine Strategie, die Beziehungen zwischen Unternehmen und ihren staatlicher Regulierung beschreibt. Die daraus folgende Betachtung stellt die Idee in Frage, dass Regulierung für Unternehmen einschränkend und hinderlich sind. Statt dessen schlägt die Theorie vor, dass ein “harmonischer” Tanz zwischen dem Unternehmen und dem Regulierer entstehen kann. Klar ist indes, welche Partei das Tanzpaar führt.

Grundlegend ist die Erkenntnis, dass eine Gesellschaft Regeln und Vorschriften benötigt, um das Zusammenleben zu organisieren und das Wohl aller zu gewährleisten. Regulierung kann helfen, Missbrauch zu verhindern, faire Bedingungen zu schaffen und das Funktionieren von Systemen zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund schlagen Verfechter des Prinzips vor, die Regulierer als Partner betrachtet, der dazu beiträgt, die Grundlagen für ein “harmonisches Miteinander” zu schaffen. Gemeint ist damit selbstverständlich ein Miteinander, in dem das Unternehmen weiterhin gute Geschäfte machen kann. Für den Regulierer bleibt die Rolle, in der er öffentlich sein Gesicht wahren kann.

Der “Tanz mit dem Regulierer” erkennt an, dass es ein “Gleichgewicht” zwischen individueller Freiheit und kollektiven Bedürfnissen geben muss. Es geht in seiner Praxis vorgeblich darum, die Rechte und Freiheiten des Einzelnen zu respektieren, während gleichzeitig (angeblich) das Gemeinwohl geschützt wird.

Im Tanz mit dem Regulierer geht es auch darum, dass Regulierung transparent, fair und zugänglich sein soll. Die Regeln sollten klar definiert und für alle verständlich sein, sodass jeder die Möglichkeit hat, sich daran zu halten. Die Zusammenarbeit zwischen dem Einzelnen und dem Regulierer sollte auf Vertrauen und Dialog basieren, um gemeinsame Lösungen zu finden und Verbesserungen voranzutreiben. Klingt gut, oder?

Eine wichtige Komponente des Konzepts “Tanz mit dem Regulierer” ist die Flexibilität. Regulierung sollte nach Ansicht der Protagonisten des Tanz-Prinzips nicht “starr” sein, sondern sich an veränderte Bedingungen und Bedürfnisse anpassen können. Man fordert daher eine kontinuierliche Überprüfung und Anpassung der Vorgaben, um sicherzustellen, dass die Regeln “effektiv” bleiben und den “aktuellen Herausforderungen” gerecht werden.

Der Tanz mit dem Regulierer wird oft auch als Metapher der Bildsprache verstanden: die Metapher suggeriert, dass man sich – wie beim klassischen, europäischen Paartanz – “aneinander anzupassen” und “aufeinander zuzugehen”, um einen gemeinsamen Weg über das rutschige Parkett zu finden und “eine ausgewogene Balance” zu erreichen. In keinem Fall soll man miteinander respektlos und rob umgehen.

Verbrauchende tanzen nicht mit

Schon bald fällt aber auf, dass Verbrauchende nicht mittanzen. Eine Gleichsetzung von Regulierer und Verbrauchenden wird oft insinuiert, ist aber in der Praxis alles andere als Garantiert oder auch nur üblich. In der Regel unterliegt nämlich der Regulierer einem inhärenten Zielkonflikt: Will er auf der Seite der Verbrauchenden auftreten und die unternehmerische Macht beschränken oder will er – ganz im Gegenteil – Wirtschaftspolitik betreiben, die die Interessen der Unternehmen schützt.

Unternehmen sind schnell dabei, gründe anzuführen, warum eine Regulierung “im Kern vielleicht ganz in Ordnung” ist, konkret aber “viel zu weit geht”. Typischerweise finden sich folgende Argumente:

  1. Komplexität und Bürokratie: Regulierung könne oft komplex und bürokratisch sein. Zu viele Regeln und Vorschriften könnten die Handlungs- und Entscheidungsfreiheit einschränken und würden zu einem hohen Verwaltungsaufwand führen.
  2. Innovationshemmung: Zu strenge oder unflexible Regulierungen würden angeblich die Innovationskraft und Kreativität behindern. Unternehmen würden in der Folge davon abgehalten werden, neue Ideen umzusetzen oder neue Märkte zu betreten, da die Regulierung zu hohe Barrieren schafft.
  3. Kosten und Ressourcen: Regulierung hat einen Preis, sei es in Form von Gebühren, Compliance-Aufwand oder mindestens der Anpassungen von Prozessen. Insbesondere für kleine Unternehmen können diese Kosten eine Belastung darstellen und ihre Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen.
  4. Langsamer Entscheidungsprozess: Regulierung erfordere in der Regel einen langwierigen Entscheidungsprozess, der Konsens und Abstimmungen zwischen verschiedenen Interessengruppen verlange. Dies würde zu Verzögerungen führen und es schwierig machen, schnell auf sich ändernde Bedingungen oder neue Herausforderungen zu reagieren.
  5. Unbeabsichtigte Konsequenzen: Regulierung habe unvorhergesehene bzw. unbeabsichtigte “Nebenwirkungen” oder führe zu unerwünschten Ergebnissen. Ein zu starker Fokus auf die Regulierung bestimmter Aspekte führe dazu, dass andere wichtige Aspekte vernachlässigt würden.

Das Missverhältnis liegt auf der Hand: während sich des Unternehmen gegenüber dem Regulierer stets ausgenommen höflich und zuvorkommend verhalten wird, spielt die Art und Weise, wie das Unternehmen mit Verbrauchenden und ihren Rechten umgeht im Verhältnis zum Tanzpartner Regulierer keine Rolle.

Einhegen des Regulierers

Der Tanz mit dem Regulierer ist in der Praxis nur die Eine Seite der Medaille. Die andere Seite derselben Medaille ist das so genannte Einfangen des Regulierers (“Regulatory Capture”).

ingDas Konzept des “Regulatory Capture” bezieht sich auf eine Situation, in der die Regulierungsbehörden, die eigentlich dazu bestimmt sind, das öffentliche Interesse zu schützen, von den Interessen derjenigen beeinflusst werden, die sie regulieren sollen. Es handelt sich um eine (schwer erkennbare) Form des Lobby, bei der private Interessen die Kontrolle über den Regulierungsprozess gewinnen und die regulatorische Entscheidungsfindung in ihrem eigenen Sinne beeinflussen. Es ist sozusagen die logische Fortsetzung des Tanzes. Währen beim Tanz noch über die Regeln verhandelt wird, nach denen Reguliert werden soll, spielt sich das “Einhegen” zeitlich danach ab und nimmt die Anwendung der Regeln in den Blick.

Bei “Regulatory Capture” besteht konkret die Gefahr, dass die Regulierungsbehörden ihre eigentliche Aufgabe, das öffentliche Interesse zu schützen, vernachlässigen und stattdessen die Interessen der regulierten Unternehmen oder anderer beteiligter Parteien priorisieren. Dies kann zu einem Mangel an wirksamer Überwachung oder zu einer unangemessenen (schwachen) Regulierung führen.

Es gibt verschiedene Wege, wie “Regulatory Capture” stattfinden kann. Eine Möglichkeit besteht darin, dass die regulierten Unternehmen versuchen, den Regulierungsprozess zu beeinflussen, indem sie politischen Druck ausüben, finanzielle Anreize bieten oder sich in informelle Netzwerke einbinden, um ihre Interessen durchzusetzen. Kurz gesagt: “Man kennt sich”. Dies kann dazu führen, dass die Regulierungsbehörden in ihren Entscheidungen voreingenommen werden und die Interessen der Unternehmen über das öffentliche Interesse stellen.

“Regulatory Capture” kann auch durch die sogenannte “revolving door”-Praxis begünstigt werden, bei der Personen zwischen Regulierungsbehörden und den Unternehmen hin und her wechseln. Dies kann zu Interessenkonflikten führen, da die ehemaligen Regulierungsbeamten möglicherweise den Einfluss der Industrie unterstützen, mit der sie zuvor zusammengearbeitet haben, anstatt objektive Entscheidungen im öffentlichen Interesse zu treffen. Oder umgekehrt: die Regulierung fällt sanfter aus, weil sich Akteure der Regulierung einen späteren finanziellen Vorteil erhoffen.

Die Auswirkungen von “Regulatory Capture” können noch schwerwiegender sein als die des “Tanzes”. Konkret kann es zu Marktverzerrungen, unfairem Wettbewerb, mangelnder Rechenschaft und einem Vertrauensverlust in die Regulierungsbehörden führen. Das öffentliche Interesse und die Schutzmechanismen, die Regulierungen bieten sollen, können dadurch erheblich nachteilig beeinträchtigt werden.

Die Praxis des “Regulatory Capture” kann eine Reihe von nachteiligen Auswirkungen haben. Konkret:

  1. Interessenkonflikte: “Regulatory Capture” kann zu schwerwiegenden Interessenkonflikten führen, bei denen Regulierungsbehörden in erster Linie die Interessen der regulierten Unternehmen oder bestimmter Interessengruppen vertreten, anstatt das öffentliche Interesse zu wahren. Dies führt zu einem Verlust der Unabhängigkeit und der Fähigkeit, objektive und ausgewogene Entscheidungen zu treffen.
  2. Schutz etablierter Marktmacht: Wenn regulierte Unternehmen die Kontrolle über Regulierungsbehörden oder -prozesse erlangen, können sie die Regulierungen zu ihrem eigenen Vorteil nutzen, um ihre Marktmacht zu schützen oder zu erweitern. Dies kann zu Monopolen oder Oligopolen führen und den Wettbewerb auf dem Markt erheblich beeinträchtigen, was wiederum zu höheren Preisen und einer geringeren Auswahl für Verbrauchende führt.
  3. Schwächung der Rechte der Verbrauchenden: “Regulatory Capture” kann dazu führen, dass Verbraucherrechte vernachlässigt werden. Regulierungsbehörden könnten zögern, strenge Vorschriften für Unternehmen tatsächlich durchzusetzen, die Verbraucherinnen und Verbraucher schützen sollen. Dies kann zu einer geringeren Qualität von Produkten oder Dienstleistungen, einer mangelnden Transparenz, zu Übervorteilung oder einem unzureichenden Schutz der Privatsphäre führen.
  4. Verlust des öffentlichen Vertrauens: Wenn Regulierungsbehörden als Teil des Problems wahrgenommen und ihre Entscheidungen als von privatwirtschaftlichen Interessen motiviert angesehen werden, führt dies zu einem Verlust des öffentlichen Vertrauens. Die Bevölkerung kann an der Wirksamkeit und Integrität der Regulierung zweifeln, was die Akzeptanz und Legitimität von Regulierungsmaßnahmen insgesamt beeinträchtigt.
  5. Mangelnde Innovation und Fortschritt: Wenn Regulierungsbehörden von den Interessen der regulierten Unternehmen beeinflusst werden, besteht die Gefahr, dass neue innovative Ansätze oder alternative Lösungen unterdrückt werden. Dies kann zu einem Innovationsstau führen, da Unternehmen, die von den bestehenden Regulierungen profitieren, wenig Anreiz haben, neue Technologien oder Verfahren zu entwickeln, die möglicherweise eine bessere Alternative darstellen könnten.

Wichtig ist, zu verstehen, dass auch kleine Unternehmen und Startups negativ von Regulatory Capture beeinflusst werden.

Diese nachteiligen Auswirkungen von “Regulatory Capture” verdeutlichen die Notwendigkeit, Maßnahmen zu ergreifen, um die Unabhängigkeit und Integrität von Regulierungsbehörden zu gewährleisten. Eine wirksame Aufsicht, strenge Ethikregeln, Transparenz und eine starke Beteiligung der Zivilgesellschaft können dazu beitragen, die Risiken von “Regulatory Capture” zu minimieren und sicherzustellen, dass die Regulierung tatsächlich im öffentlichen Interesse erfolgt.

Die Antwort der EU: die zivilgesellschaftlichen Regulierer

Die EU hat sich bereits früh das Ziel gesetzt, eines der global höchsten und besten Niveaus für den Schutz der Rechte der Verbrauchenden erzielt. Und in den 2020er Jahren hat sie dieses Ziel nach Ansicht vieler Beobachter Weltweit auch erreicht. Dies ist umso erstaunlicher, weil es keine EU-Durchsetzungsbehörden gibt. Es gibt also keine EU-Polizeibehörde für den Schutz der Konsumenten. Statt dessen mussten Rechtsakte der Union immer durch nationale Behörden durchgesetzt werden. Und hier kam es sehr schnell zu einer Opposition gegen “die Regeln aus Brüssel”. Die Folge war ein mit Händen greifbares “Underenforcement” in weiten Teilen des Unionsrechts. Die Situation zu eine Vielzahl von Witzen und zynischen Kommentaren nach sich. Es gab es etwa den deutschen Reim: “In Brüssel erdacht, zuhause verlacht” oder “gelesen, gelacht, gelocht” (read, laughed, punched).

Lange waren erst das Gemeinschaftsrecht und dann das Unionsrecht also Papiertiger: auf dem Papier toll, in der Praxis faktisch unwirksam. Die Antwort Brüssels auf dieses – aus Sicht des EU-Parlaments und der Kommission beklagenswerten Zustand – kam spät, aber sie kam. An der Durchsetzungskompetenz der Mitgliedsstaaten wurde nicht gerüttelt, aber es wurde sichergestellt, dass die Durchsetzung immer auch durch unabhängige Verbraucherschutzverbände (im EU-Jargon etwas unromantisch “qualifizierte Einrichtungen” genannt) erfolgen kann. Der Weg hierhin war kein ein Spaziergang.

Zu Beginn der 1990er Jahre begann die EU mit einer Gesetzgebungsinitiative zum Schutz von Verbrauchenden vor missbräuchlichen Vertragsklauseln (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/FR/TXT/HTML/?uri=CELEX:31993L0013). Während diese Richtlinie noch keinen kollektiven Rechtsschutz vor sah, wurde in der Folge klar, dass es wenig nützlich ist, den Rechtsschutz gegen missbräuchliche Klauseln den Einzelnen aufzubürden und es wurde in der folgenden Legislaturperiode die EU Unterlassungsklagen-Richtlinie (Directive 98/27/CE relative aux actions en cessation en matière de protection des intérêts des consommateurs) beschlossen. Diese und die nachfolgenden Rechtsakte der EU führten zu einem Paradigmenwechsel in der Rechtsdurchsetzungspraxis. Nun sahen sich nämlich die Unternehmen nicht nur einer zentralen Aufsichtsbehörde gegenüber (im Umgang mit der sie jahrelange Erfahrung hatten), sondern einer Vielzahl von Verbänden unterschiedlichster Struktur, Ausrichtung und Größe, die allesamt klagen konnten. Jedenfalls in der Theorie.

Lange blieb aber ein entscheidender Konstriktionsfehler: wer Qualifizierte Einrichtung wird und bleibt wurde der Entscheidung der Mitgliedsstaaten überlassen. Es gab kaum Vorgaben, zu den Anforderungen, die Verbände erfüllen müssen, um Qualifizierte Einrichtung und damit klagebefugt zu werden. Lediglich war festgelegt, dass es in jedem Mitgliedsstaat mindestens eine solche Qualifizierte Einrichtung geben musste. Damit wurde die Entscheidung, wer als zivilgesellschaftlicher Regulierer auftreten kann, eine politische Entscheidung und der Lobby-Kampf verlagerte sich auf die Klagebefugnis [1, 2, 3].

Ein besonders negatives Beispiel für den Missbrauch der Scharnierstellung der Mitgliesstaaten ist aber auch die Republik Österreich. Denn dort wurde die Klagebefugnis durch einen Rechtsakt auf Bundesebene geregelt, der den Status als Qualifizierte Einrichtung unmittelbar verlieh. Einen allgemeines Zugangsverfahren für neue Verbände gab es dort lange nicht. Die EU-Datenschutzorganisation NOYB etwa, die in Österreich ihren Sitz hat, wurde daher lange nicht klagebefugt. Es erhielt schließlich die Klagebefugnis in Belgien durch ministeriellen Erlass.

Die Bundesrepublik Deutschland fiel und fällt auch dadurch auf, dass es zwar ein Zulassungsverfahren für neue Qualifizierte Einrichtungen etabliert hat, zugleich aber eine Vielzahl von teils widersprüchlichen Regelungen etabliert hat, die Verbände erfüllen müssen, um qualifizierte Einrichtung zu werden. Die italienische Republik fiel andererseits dadurch auf, dass dort eine extrem hohe Zahl an Mitgliedern erforderlich war (mehrere tausend Mitglieder aus unterschiedlichen Landesteilen).

“Dieselgate”

Schließlich kam “Dieselgate”. Das Wort “Dieselgate” beschreibt einen Skandal, der im Jahr 2015 die deutsche Volkswagen-Gruppe erschütterte und später auch andere, vor allem aber deutsche Autohersteller betraf. Es wurde entdeckt, dass Volkswagen und seine Tochterunternehmen Softwaremanipulationen an Dieselfahrzeugen vorgenommen hatten, um die Emissionswerte bei Tests zu manipulieren. Die betroffenen Fahrzeuge schienen die strengen Umweltauflagen scheinbar einzuhalten, während sie im normalen Straßenbetrieb viel höhere Schadstoffemissionen verursachten. Die Enthüllung hatte weltweite Auswirkungen auf die Automobilindustrie und führte zu massiven Rückrufen, rechtlichen Konsequenzen, Strafen und einem erheblichen Ansehensverlust für Volkswagen. Der Dieselgate-Skandal hat das Bewusstsein für die Notwendigkeit von strengeren Emissionsstandards und transparenteren Testverfahren in der Automobilbranche geschärft. Mit der Durchsetzung von Verbrauchendenrechten taten sich die Staaten – allen voran Deutschland – aber schwer.

Die Kommission Juncker nahm den Vorgang schließlich zum Anlass für eine umfassende Gesetzesinitiative: den “Consumer New Deal“. Teil des New Deal-Ansatzes war die Neuregelung der Rechtsdurchsetzung. Die Durchsetzung der Rechte der Verbrauchenden sollte grenzüberschreitend und unproblematisch erfolgen können. Außerdem sollte es zum ersten Maß in der EU einheitliche Regeln nur nur für Unterlassung sondern auch für Schadenersatz geben.

Kommission und Parlament waren schnell überzeugt, aber der Rat, in dem die Regierungen der Mitgliedsstaaten vertreten sind, signalisierte, die neuen Regeln nicht mittragen zu wollen und die Initiative geriet daraufhin in eine Sackgasse. Es folgte ein langwieriges und dem Vernehmen nach sehr schwieriges Trilog-Verfahren. Hauptstreitpunkt war die Frage, welche Kriterien Qualifizierte Einrichtungen erfüllen müssen, um künftig klagen zu können.

Aus Kreisen der Beteiligten haben wir erfahren, dass ein großer Mitgliedsstaat die Einigung lange über den Rat blockiert haben soll, weil man ein besonderes Interesse daran gehabt habe, eine bestimmt besonders klagefreudige und letztlich missliebige qualifizierte Einrichtung nach nationalem Recht von der Klagebefugnis ausschließen zu können. Belegen lässt sich dies aber nicht. Für die Deutschen PKW-Hersteller war aber bereits eine Verzögerung der Richtlinie ein Erfolg.

Die Einigung war eine geradezu salomonische: nach dem Kompromisstext behielten die Mitgliedsstaaten die Möglichkeit eigene Kriterien für nationale Qualifizierte Einrichtungen aufzustellen. Andererseits aber musste es jeder Mitgliedsstaat zulassen, dass eine ausländische Qualifizierte Einrichtung vor den nationalen Gerichten klagt. Außerdem musste es in jedem Land ein unionsweit einheitliches Verfahren geben, nach dem eine Klagebefugnis für Klagen im Ausland erlangt werden kann. Während also zum Beispiel Deutschland an einem komplexen Regelwerk für Qualifizierte Einrichtungen beibehalten durfte, soweit diese Einrichtung in Deutschland sitzen und in Deutschland klagen, musste es zugleich ein Verfahren einführen, nachdem ein deutscher Verband die Klagebefugnis für Verfahren außerhalb Deutschlands erteilt werden muss. Die Besonderheit: die Kriterien hierfür sind in der ganzen EU einheitlich und gelten daher auch für Verbände, die eine Befugnis für Auslandsklagen in einem anderen Mitgliedsstaat erworben haben und in Deutschland klagen.

Während einige Staaten also weiterhin auf ein hohes Klageniveau verweisen konnten, waren aus der Sicht von Kommission und Parlament dennoch die Weichen für einen einheitliche Durchsetzung jedenfalls in nicht allzu ferner Zukunft gestellt.

Quellen

“Tanz mit dem Regulierer”

Robert F. Himmelberg: Criminal Justice and Regulation Revisited – Essays in Honour of Peter Grabosky, · 1994, p. 170

Peter Cane, ‎Herbert Kritze: The Oxford Handbook of Empirical Legal Research, p. 161

Claire A. Hill, ‎Richard W. Painter: Better Bankers, Better Banks: Promoting Good Business…, 2015, p. 130

Gail Pearson: Financial Services Law and Compliance in Australia, 2009, p. 13