Die EU-Verbandsklagenrichtlinie stärkt die Rechte der Verbrauchenden in der EU und vereinheitlicht deren Durchsetzung. Die Richtlinie aus dem November 2020 erleichtert unter anderem Schadenersatzklagen und regelt Unterlassungsverfahren neu. Bis zum 25. Dezember des vergangenen Jahres hätte Deutschland die Richtlinie umsetzen müssen.
“Seit letzten Sonntag müssen die Gerichte der Mitgliedsstaaten die neuen Regeln anwenden, aber es gibt bisher kein Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie.” moniert Iwona Szczeblewski die Regelungen. Der Verband, habe über sein Büro in Brüssel am Montag der EU-Kommission eine schriftliche Beschwerde zugeleitet.
Die Richtlinie, die eine politische Antwort auf den Dieselgate-Skandal sei, werde in Deutschland rechtswidrig verzögert. Dies sei nicht verwunderlich: “Eigentlich hätte es uns ja überrascht, wenn sie rechtzeitig und gar in ausreichender Weise umgesetzt worden wäre” witzelt Szczeblewski. Jetzt seit die Lage aber noch schlimmer als befürchtet. Fast habe man sich bei EuroConsum gewünscht, man hätte die Richtlinie wenigstens entsprechend des letzten Entwurfs mit den dort “enthaltenen groben Fehlern” umgesetzt worden, denn nun sei in Folge der Nicht-Umsetzung das Recht “in weiten Teilen dysfunktional” geworden.
Weitreichende Konsequenzen für grenzüberschreitende Verbandsklagen
Die Richtlinie sieht eigentlich vor, dass sich Verbände für grenzüberschreitende Klagen registrieren lassen können. Die Kriterien dafür sind in der ganzen EU dieselben. “Leider hat Deutschland aber nicht einmal eine Zuständigkeitsregel für die Eintragung, wir wissen also gar nicht, wohin wir den Eintragungsantrag schicken sollen”, beklagte Szczeblewski.
Die frühere Rechtsgrundlage, die sog. Unterlassungsklagen-Richtlinie (Richtlinie 2009/22/EG) ist in der Nacht vom 24. auf den 25.06.2023 außer Kraft getreten. Aktuell sehen man bei EuroConsum auch nicht, wie Verbände aus anderen EU-Mitgliedsstaat noch vor deutschen Gerichten klagen können. “Die Kolleginnen, zum Beispiel aus Südtirol, werden ihre Verfahren jetzt schlimmstenfalls verlieren”, befürchtet Szczeblewski.
Die Unsicherheit betrifft auch EuroConsum selbst. Der Verband ist zwar qualifizierte Einrichtung nach deutschem Recht, führt Verfahren aber in vielen EU-Staaten. “Wir haben in der vergangenen Woche zum Beispiel zwei Klagen, in denen es um unzulässige Gesundheitswerbung bei Nahrungsergänzungsmitteln durch Unternehmen aus Belgien und den Niederlanden geht, vorsorglich vor deutschen Gerichten anhängig gemacht, weil uns die Unsicherheiten für eine Klage in Belgien bzw. den Niederlanden im Zusammenhang mit der Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie zu groß waren. “Rückblickend war das eine richtige Entscheidung, denn aktuell sind wir in Belgien und den Niederlanden nicht mehr klagebefugt.” betont die Vorständin von EuroConsum mit Blick darauf, dass Deutschland die Eintragung für grenzüberschreitende Klagen nicht ermöglicht hat. Die frühere Grundlage für die Klagebefugnis in grenzüberschreitenden Verfahren in einem anderen EU-Staat sei aber mit dem Ablauf des 24.06.2023 entfallen sei.
EuroConsum besteht auf die Anwendung der Richtlinie und kündigt Musterverfahren an
“Mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH werden wir uns gegenüber Gerichten ab sofort so verhalten, als sei die Richtlinie rechtzeitig umgesetzt worden; das betrifft zum Beispiel die neuen Vortragsobliegenheiten zu den betroffenen Kreisen”, stellt Szczeblewski in Aussicht und ergänzt: “Aktuell prüfen wir noch, ob wir zumindest in Einzelfällen auch Ansprüche gegen Dritte aus der Richtlinie ableiten werden; wir wissen dass das hochumstritten ist, aber wir halten es für gut begründbar, einen Anspruch aus dem Prinzip der wirksamen Rechtswahrnehmung nach Art. 47 herzuleiten.” Die Frage, ob es zu einem Musterverfahren kommt, beantwortete sie mit “das ist überwiegend wahrscheinlich”.
Der EuGH hat bereits in mehreren Verfahren klar gestellt, dass Richtlinien nach Ablauf der Umsetzungsfrist im Verhältnis zwischen Staat und Bürger unmittelbar anwendbar sind, wenn sie hinreichend bestimmt und eindeutig sind. Auch ist anerkannt, dass aus der verspäteten und unzureichenden Umsetzung Schadenersatzansprüche gegen den Mitgliedsstaat entstehen können. Ob es daneben auch eine “Horizontale Drittwirkung”, also eine Anwendung im Verhältnis zwischen Bürgern gibt, sei “extrem umstritten”. Man sei nun “in Gestaden, für die es noch keine Karten” gebe. Man werde nun sehen, wie diese Ländereien liegen.
Verband stellt auch Abmahnungen grundsätzlich in Frage
Auch das umstrittene Instrument der Abmahnung sieht der Verband kritisch und gibt an, dass im zurückliegenden Jahr in nur noch knapp über 50% der deutschen Fälle des Verbands eine Unterlassungserklärung abgegeben worden sei. Im ersten Halbjahr des aktuellen Jahres sei die Zahl der Rechtsstreite, die durch eine Unterlassungsverpflichtungserklärung beigelegt wurden, auf “deutlich unter 50%” gesunken. “Dass eine Abmahnung den Rechtsstreit vermeidet, ist unwahrscheinlicher als umgekehrt”, gibt Natália Oráviková zu bedenken, die den Juristischen Dienst des Verbandes koordiniert.
Verantwortlich dafür sei, so Oráviková, wohl vor allem eine Beratungspraxis in der Anwaltschaft, die behauptet, dass ein Unterlassungsvertrag nachteiliger sei, als ein Urteil. “Wir haben zur Kenntnis genommen, dass die deutsche Bundesregierung die Abmahnung als einen angeblich schnellen und günstigen Weg aus dem Streit verstanden wissen will, aber offensichtlich will eine deutliche Mehrheit der Unternehmen diesen Weg einfach nicht gehen.” Es stelle sich daher die Frage, so Oráviková, wer hier geschützt werden solle.
In der EU gebe es schon lange Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Abmahnung. Man höre in diesem Zusammenhang gelegentlich sogar die Bezeichnung “Extravaganza”. Nur in Deutschland und Österreich spielt die Abmahnung nach Orávikovás Einschätzung überhaupt noch eine signifikante Rolle. Sie stellt in Aussicht, dass EuroConsum demnächst Vorschläge machen werde, wie ein deutsches Recht ohne Abmahnung aussehen könnte.
Ergänzende Informationen:
- Art. 197 Abs. 1 AEUV und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV regeln die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten, effektiven Rechtsschutz zu gewähren, wenn es um einen Bereich geht, der von Unionsrecht erfasst wird. Art. 47 der EU-Grundrechtecharta garantiert ein EU-Grundrecht auf wirksame Rechtsbehelfe.
- Die EU-Verbandsklagenrichtlinie schreibt eine Abmahnung (dort als Konsultation bezeichnet) nicht vor, sondern lässt sie nur zu.